Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe ist das oberste Gericht der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Zivil- und Strafrechtspflege und zählt derzeit 152 Richterinnen und Richter. Am 14. Oktober 2025 erhielten 22 Stipendiatinnen und Stipendiaten im Rahmen eines vierstündigen Besuchs die Gelegenheit, an einer Verhandlung des II. Zivilsenats teilzunehmen.
Nach der Sicherheitskontrolle erfolgte im Sitzungssaal durch eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des II. Zivilsenats eine fachliche Einführung in das gesellschaftsrechtliche Thema der anschließenden Verhandlung. Der Überblick beinhaltete unter anderem die Ergebnisse der vorangegangenen rechtlichen Instanzen, die Begründung der Zulässigkeit der Revision sowie die Höhe des entstandenen Schadens.
An der Gerichtsverhandlung nahmen fünf Richter des Bundesgerichtshofs, zwei Revisionsanwälte sowie der Angeklagte selbst teil. Im Mittelpunkt der Verhandlung stand die Klärung, ob der Aufsichtsratsvorsitzende einer nicht börsennotierten Gesellschaft seine gesetzlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt hatte. Gesetzlich ist der Vorstand zur regelmäßigen Berichterstattung an den Aufsichtsrat verpflichtet, während der Aufsichtsrat die Aufgabe der Überwachung, Einsichtnahme und Prüfung der Geschäfte hat.
In dem verhandelten Fall spielte insbesondere der zeitliche Ablauf eine entscheidende Rolle, da das Unternehmen nach einer ruhigen Phase mehrere Geschäfte tätigte, die letztlich zu dem streitgegenständlichen finanziellen Schaden führten. Weder lagen schriftliche Berichte des Vorstands vor, noch fanden formelle Sitzungen statt. Laut der Verteidigung war die situationsangepasste mündliche Absprache für die Pflichterfüllung des Aufsichtsrats ausreichend, da insgesamt keine Geschäftstätigkeit bekannt war. Das Aktiengesetz knüpft die Aufgaben des Aufsichtsrats jedoch nicht variabel an die Intensität der Geschäftstätigkeit des Unternehmens. Hieraus ergab sich die interessante Fragestellung, wie proaktiv der Aufsichtsrat die Berichte vom Vorstand in diesem Zeitraum hätte einfordern müssen, um seine eigenen gesetzlichen Aufgaben korrekt zu erfüllen. Aus den Vorinstanzen ergab sich das weitere kontroverse Thema, ob und inwiefern eine reduzierte Tätigkeit des Aufsichtsrats in einer weitgehend ruhenden Unternehmensphase rechtlich vertretbar sein kann.
Im Anschluss an die Verhandlung fand eine Nachbesprechung statt, in der zwei wissenschaftliche Mitarbeitende die Fragen der Gruppe eingehend beantworteten. Zeitgleich hatte eine weitere Besuchergruppe, bestehend aus Aufsichtsratsvorsitzenden, an der Verhandlung teilgenommen. Diese zusätzliche Perspektive bereicherte die Diskussion um wertvolle praxisnahe Ansichten. Danach folgte eine Führung über das Gelände, durch das Erbgroßherzogliche Palais sowie durch eine der größten Gerichtsbibliotheken Deutschlands.
Der Vormittag bot den Studierenden wertvolle Einblicke in die Art und Weise der juristischen Argumentation, die Auslegung des Aktienrechts sowie in das gesicherte Justizgelände in Karlsruhe. Unser herzlicher Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesgerichtshofs für die kompetente fachliche Begleitung und den angenehmen Aufenthalt.
